(fi) Ich war nie ein Fan von Jörg Kachelmann. Seine joviale, humorvoll-biedere Art im TV nervte mich, und wenn er auf der Mattscheibe auftauchte, zappte ich meist weg. Nun ist es aber langsam Zeit, Partei für ihn zu ergreifen, denn was da in Mannheim stattfindet, ist längst kein fairer Prozess mehr. Vorläufiger Endpunkt in einer ganzen Kette von Unverständlichkeiten: Gestern lehnte das Gericht den von Kachelmanns Verteidigern bestellten Gutachter Bernd Brinkmann wegen Befangenheit ab. Obwohl, oder gerade weil der Mann erstaunliche Erkenntnisse in den Prozess einbrachte:

Sabine W. (geänderter Name), das mutmaßliche Opfer, hatte bereits ein Jahr vor dem denkwürdigen und ungeklärten Sexabend in Schwetzingen fast exakt die gleichen Blutergüsse an ihren Oberschenkeln fotografiert und auf ihrem Notebook dokumentiert, wie sie dann auch bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung nach dem Vorfall mit Kachelmann gefunden wurden. Die These des Gutachters: Es könnte sein, dass sie schon damals mit Selbstverletzungen ›experimentierte‹, um es dann, beim Vorwurf, Kachelmann habe sie vergewaltigt, möglichst authentisch aussehen zu lassen.

Eine These, die man nicht so einfach vom Tisch wischen sollte – insbesondere nicht im Zusammenhang mit dem Gesamtverhalten von Sabine W.: Schon in einem ganz frühen Stadium nämlich hatte sie die Polizei belogen, als es darum ging, woher der Kurzbrief ›Er schläft mit ihr!‹ kam, den sie von einer Nebenbuhlerin bekommen haben wollte. Später stellt sich heraus: Sie hatte die Notiz selbst geschrieben.

Das sind so einige Dinge, die an der Aussage von Sabine W. Zweifeln lassen. Staatsanwaltschaft und Gericht allerdings werten es stets als verständliche Reaktionen und Verteidigungsstrategien von Sabine W. nach einer Vergewaltigung – ohne sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, dass alles Lüge sein könnte.

Die Staatsanwaltschaft verhält sich dabei schon lange nicht mehr wie eine Aufklärungsbehörde, sondern nimmt mit selektiver Wahrnehmung nur das zur Kenntnis, womit sie Kachelmann zur Strecke bringen kann. Sie ermittelt nicht nach allen Seiten und nicht ergebnisoffen. Und das Gericht, gegen das es mit guten Gründen selbst bereits einen Befangenheitsantrag gab – der mit einer wirklich blasierten Begründung abgebügelt wurde (Tenor: Richter sind dazu ausgebildet, nicht so einfach befangen zu sein, also sind sie es nicht. Frage: Wozu ermöglicht das Recht dann eigentlich Befangenheitsanträge gegen Richter?) – das Gericht also, weigert sich, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen, schließt stattdessen lieber Gutachter aus und will nur das als Beweismittel zulassen, das ihm zupass kommt.

Da fragt man sich wirklich – unabhängig von Kachelmanns Schuld oder Unschuld – welches Rechtsverständnis die Behörden in Mannheim eigentlich haben. Wozu führen sie überhaupt einen Prozess? Wäre es nicht einfacher, Kachelmann ohne Prozess für einige Jahre einzubuchten – oder besser noch, wie es vielleicht einige Hardcore-Emanzen wünschen, ratzfatz den Schwanz abzuschneiden?

Alice Schwarzer, die für BILD diesen Prozess beobachtet, verdient sich hier kein Ruhmesblatt: In Video-Interviews für die Bild sagt sie Sachen wie: Es wäre eine Schande für die Sache der Frauen (›Für die vergewaltigten Frauen der Welt‹), wenn der Prozess etwa aus Mangel an Beweisen eingestellt würde. Die Sache müsse vom Gericht durchgezogen werden! – Das kann man doch nur so deuten: Kachelmann muss hinter Gitter, koste es, was es wolle, schuldig oder unschuldig. Was soll man dazu noch sagen? Mit objektivem Journalismus hat das nichts mehr zu tun.

Man fragt sich: Warum hat sich hier eine Front von Kachelmann-Gegnern so massiv aufgestellt? Warum bekommt der Mann offensichtlich keinen fairen Prozess?

Sicher, eine Großtat von Kachelmann war es nicht, dass er acht oder zehn Geliebte in der ganzen Republik versteut auf sich warten hatte. Er ist mitnichten ein ›perfekter Verführer‹, weil er nur seine Popularität, seine Beziehungen und einen Haufen Lügen und Versprechungen nutzte, um an Frauen heranzukommen, die halb so alt waren wie er. Das aber ist nicht verboten, sondern insbesondere im Medienbusiness fast Alltag. Bei Kachelmann fällt eben nur die schiere Menge an Geliebten auf. Aber es ist eben nur das alte Prinzip ›In jedem Hafen eine Braut‹.

Kachelmanns Firma arbeitet für die ARD. Wieviele Landesrundfunkanstalten hat die ARD? Neun, jede sitzt in einem anderen Bundesland, in einer anderen Stadt. Wieviele Geliebte hatte Kachelmann? Je nach Zählung sechs, sieben, acht oder neun. Das passt ziemlich genau. Wie gesagt, das war keine Glanzleistung von Kachelmann, sondern eher die eines leutseligen kleinen Schleimers. Hinter dem offensichtlichen Sex-Wahn steht in diesen Fällen meist ein anderes Defizit, das kompensiert werden muss. Ein ›perfekter Verführer‹ wäre er gewesen, wenn er ohne Lügen ausgekommen wäre, wenn alle Frauen etwas voneinander gewusst hätten, und sie trotzdem freudig mit ihm Sex gehabt hätten. Und wenn er nie vor Gericht gelandet wäre.

Es gibt, insbesondere auf Seiten der Betrogenen, gute Gründe, Kachelmann nicht (mehr) zu mögen. Aber deshalb dürfen ihm Staatsanwaltschaft und Gericht doch keinen fairen Prozess vorenthalten. Wenn die Sache so weitergeht, ist das Urteil nichtig und kippt in der Revision, ehe es gesprochen wird. [Wie üblich auf Staatskosten, denn Richer und Staatsanwälte können für ihre schlechte Arbeit nicht zur Verantwortung gezogen werden].

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