(fi) 17. Oktober 2013: Der Geburtstag von Georg Büchner jährt sich zum 200. Mal.

Eine Würdigung
Georg Büchner ist ein Wegbereiter, ein bahnbrechender Erneuerer der deutschen Literatur – der Begriff ›Genie‹ ist nicht weit, wenn man an ihn denkt. Und das bei einem Mann, der – es ist kaum fassbar – bereits im 24. Lebensjahr starb. Heute, viele Generationen später, hat sein früher Tod doch eine positive Seite: Als junger Wilder, als eine Art James Dean der Literatur bleibt er für immer unfehlbar und unantastbar.

Geboren wurde Büchner am 17. Oktober 1813 in der Nähe von Darmstadt als Sohn des Arztes Karl Ernst Büchner und dessen Ehefrau Louise. Ab dem Alter von acht Jahren erhält er eine exzellente humanistische Grundausbildung beim Darmstädter Privatgelehrten Carl Weitershausen. Mit elf Jahren wechselt er ins neuhumanistische Pädagogium, eine Schule, die ab 1826 vom klassischen Philologen Carl Dilthey geleitet wird. Schon während seiner Schulzeit sticht Büchner als Autor geschliffener Aufsätze und als Redner bei Schulfesten aus der Masse heraus.

Zum Studium der Anatomie geht der junge Mann ab 1831 nach Straßburg – denn sein Berufsziel ist Mediziner, nicht etwa Schriftsteller. Da jedoch in seinem Fach maximal zwei Jahre Auslandsstudium erlaubt sind, muss er 1833 zurück an die Universität Gießen. Erst im Kontrast zum erwachten und belebten Frankreich nach der Juli-Revolution von 1830, wird ihm das repressive Klima in Deutschland – die Schikanen der Obrigkeit, die staatliche Gewalt und die Unterdrückung der Ärmsten – richtig bewusst. »Die politischen Verhältnisse«, so schreibt er im Dezember 1833, »könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen.« Büchner beginnt, sich aktiv für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.

Er gründet zusammen mit ehemaligen Schulkameraden aus Darmstadt und weiteren Studenten und Handwerkern die Gesellschaft für Menschenrechte, eine Geheimorganisation nach französischem Vorbild, deren Ziel ein Umsturz der politischen Verhältnisse ist. Mit seinen Mitstreitern strebt der junge Büchner nichts weniger als den Sturz der autoritären Landesfürsten an, die in Kleinstaaterei und Egoismus das Land unter sich aufteilten.

Im Frühjahr 1834 erscheint der Hessische Landbote: Eine Flugschrift, die unter der Parole »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die Unterdrückung aufruft. Büchner hatte wesentliche Teile davon verfasst, sein Mitstreiter Friedrich Ludwig Weidig, einer der führenden Oppositionellen aus Hessen-Darmstadt, überarbeitete die Schrift gegen Büchners Willen stark und schwächte sie ab. Dennoch reagiert die Staatsmacht prompt: Die Autoren und Hintermänner werden verfolgt und verhaftet, Gefängnisstrafen verhängt. Büchner kann sich gerade noch nach Straßburg absetzen, wo er zuvor studiert hatte.

Hier beginnt die eigentliche schriftstellerische Karriere Georg Büchners – und sie ist nicht weniger revolutionär. Er schreibt »Dantons Tod« und »Lenz«, »Leonce und Lena« und schließlich »Woyzeck« – und in jeder seiner Arbeiten ist er seiner Zeit unglaublich weit voraus. So dass seine Stücke bis heute zu den meistgespielten auf Theaterbühnen gehören.

Warum ist Büchner ein literarischer Erneuerer?

Mit Büchner verschwindet alles Biedere aus der Literatur. Es gibt keine höfliche und höfische Zurückhaltung mehr, keine vornehmen Umschreibungen, keine verklausulierten Kritiken. Büchner ist ein Meister des Direkten, er schreibt, wie es ist, er benennt, was er meint. Gemeinheit ist gemein, Gewalt ist blutig, Sex ist verschwitzt und brachial, weil biologisch. Modern sind nicht nur Büchners Themen, sondern auch seine literarischen Stilmittel, von Zitat, Collage über Montage und Verfremdung – wie man sie in dieser Dichte erst wieder bei Brecht finden wird. Liest man manche Textpassagen isoliert, ohne die Quelle zu kennen, könnte man sie auch in der Beat Generation des 20. Jahrhunderts verorten.

Büchner kam aus keinem Literatenzirkel zum Schreiben, sondern sozusagen als Quereinsteiger. Es ist gut möglich, dass ihm diese Sicht von aussen half, schrankenlos zu schreiben. Auch zu den Schriftstellern des »Jungen Deutschland« um Heinrich Heine zählte Büchner sich nicht. Am 1. Januar 1836 schreibt er aus Straßburg an seine Familie: »Übrigens gehöre ich für meine Person keineswegs zu dem sogenannten Jungen Deutschland, der literarischen Partei Gutzkows und Heines. Nur ein völliges Mißkennen unserer gesellschaftlichen Verhältnisse konnte die Leute glauben machen, daß durch die Tagesliteratur eine völlige Umgestaltung unserer religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei.«

Eben weil Büchner sich von literarischen Texten nicht soviel erwartete, wie andere, weil er die Hoffnung in die Tat setzte, nicht ins Wort, deshalb konnten seine Texte pur und schrankenlos sein, ohne jede taktische Rücksichtnahmen.

Anfang 1835 schreibt er in nur fünf Wochen sein Revolutionsdrama ›Dantons Tod‹ und schildert die Auseinandersetzung zwischen den Anhägern Robespierre und Danton – die mit Dantons Hinrichtung endet. Am 5. Mai 1835 schreibt er darüber in einem Brief an seine Familie: »Das Ganze muß bald erscheinen. Im Fall es euch zu Gesicht kommt, bitte ich euch, bei eurer Beurteilung vorerst zu bedenken, daß ich der Geschichte treu bleiben und die Männer der Revolution geben mußte, wie sie waren, blutig, liederlich, energisch und zynisch. Ich betrachte mein Drama wie ein geschichtliches Gemälde, das seinem Original gleichen muß.«

Ralf Beil, der die zentrale Büchner-Ausstellung zum Jubiläumsjahr in Darmstadt (ab 13.10.2013) vorbereitete, nennt Dantons Tod das immer noch »einzige Stück von Bedeutung über die Französische Revolution«.

Im Oktober 1836 zieht Büchner nach Zürich, um seine akademische Karriere fortzusetzen. Hier beginnt er seinen genialen Geniestreich, den ›Woyzeck‹, ein Drama, das bis auf den heutigen Tag nicht weniger als 450 unterschiedliche Inszenierungen erlebte und damit zu den weltweit meist gespielten Stücken aller Zeiten gehört. Büchner orientiert sich an einem authentischen Fall, entnimmt die Quellen dazu der ›Henkes Zeitschrift für die Staatsarzneikunde‹, die sein Vater abonniert hatte, und entwickelt ein Sozialdrama der radikalsten und erschütternsten Art. Woyzeck, der Protagonist, ist das Gegenteil eines intellektuellen Helden. Er ist ein einfältiger, armer Mensch von unten, ein einfacher ungebildeter Soldat. Einer, dem so vieles fehlt, doch eines hat er: Seine Geliebte Marie, und ein gemeinsames uneheliches Kind, das er schlecht und recht, aber redlich, ernähren möchte.

Das Drama zeigt nun, wie das kleine und bescheidene Leben des Woyzeck zerstört wird von Menschen, die allesamt weit über ihm stehen: der Arzt, der ihn für medizinische Experimente missbraucht, der Hauptmann, der ihn als Laufbursche ausbeutet und quält. Und schließlich der Tambourmajor, der ihm seine Marie wegnimmt. Am Ende ersticht der völlig entmachtete und entrechtete Woyzeck seine Freundin Marie bei einem Spaziergang am See – es ist die einzige Art der Auflehnung gegen das Schicksal, zu der er imstande ist – und zugleich das Ende von allem.

Trotz seiner ungeheuren Wirkung, die sicher zum Teil schon zu Lebzeiten spürbar war: Büchner wollte gar kein Schriftsteller sein, sondern er strebte eine Dozentur an der Universität Zürich an. Am 2. Februar 1837 erkrankte er schwer an Typhus, wahrscheinlich hatte er sich bei der Arbeit an einem seiner medizinischen Präparate infiziert. Die Krankheit schlägt so heftig zu, dass er sich nicht wieder erholt. Er stirbt am 19. Februar im Beisein seiner Braut Wilhelmine Jaeglé, noch vor Vollendung des Woyzeck.

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