(ajf)
Eine Staatsanwältin, die zu Beginn des Prozesses die Geschworenen an einer Pappschachtel riechen lässt, um zu demonstrieren, wie modrig es in dem Kellerverlies war. Ein eingebildeter Verteidiger, der die meiste Zeit dazu nutzt, um über sich selbst und die Drohungen, die er erhalten hat, zu reden. Eine Richterin, der es in erster Linie darauf ankommt, herauszustellen, dass der Fall Fritzl ein »Einzelfall« sei, der nichts mit der Region St. Pölten zu tun habe. – Der Prozess gegen Josef Fritzl droht zur Farce zu werden.
Nur fünf Verhandlungstage sind angesetzt, was an sich nicht schlecht ist, weil wir ja immer jammern, dass bei offensichtlichen Fällen zu viel verhandelt und Steuergeld verschwendet wird. Hier aber besteht wohl die Gefahr, dass in der Eile so allerhand unter den Tisch gemauschelt wird.
Fritzl selbst hielt sich am ersten Prozesstag im Wortsinn bedeckt – mit einem Aktenordner nämlich, den er vors Gesicht hielt. Zu vermuten ist aber, dass er dies nicht aus Scham tat, sondern um zu verhindern, dass Fotos entstehen, die vermarktet werden, ohne dass er einen Gewinn davon hat.
Stern-Reporter hatten herausgefunden, dass Fritzl offenbar schon aus dem Gefängnis heraus versucht hat, über einen Mittelsmann seine Verhörprotokolle an britische Boulevardmedien meistbietend zu verkaufen – angeblich, um mit dem Geld die Familie zu unterstützen. Einem Bekannten soll er laut Stern gesagt haben: »Die schreiben alles an mir vorbei, aber ich bin der Hauptakteur. Dass andere damit Geld machen, indem sie mich nutzen, geht nicht. Da wäre mir viel mehr geholfen, wenn ich der Familie etwas geben kann.«
Ob Fritzl auch hinter der geschmacklosen Aktion steckt, auf eBay für die Dauer des Prozesses eine Wohnung in einem Haus zu versteigern, das ihm selbst gehört, weiß man nicht so genau. (eBay-Angebot: »Ideal für Medien, die über den Prozessverlauf berichten. Drei Gehminuten vom Gerichtsschauplatz am Landesgericht St. Pölten entfernt.«) Es könnte auch ein Mieter gewesen sein. eBay stoppte die Auktion in letzter Minute.
Hinter all dem oberflächlichen Gemauschel und der Geschäftemacherei drohen die eigentlichen Fakten, deretwegen Fritzl angeklagt ist, unterzugehen.
Die Süddeutsche stellte die wichtigsten Anklagepunkte im Überblick zusammen:
Mord
Eines der Kinder, die in dem Bunker zur Welt kamen, starb wenige Tage nach der Geburt an einer Atemwegserkrankung. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass Fritzl ihm medizinische Hilfe verweigerte. Aus diesem Grunde wurde im November vergangenen Jahres die Anklage auf Mord wegen unterlassener Hilfeleistung erweitert.
Strafrahmen: zehn bis 20 Jahre oder lebenslange Haft.
Sklavenhandel
Fritzl wird vorgeworfen, seine Tochter von August 1984 bis April 2008 in eine sklavereiähnliche Lage gebracht zu haben, indem er sie in das Verlies verschleppte und dort einsperrte. Er habe sie vollständig abhängig gemacht, ihr sexuelle Dienste abverlangt und über sie wie über sein Eigentum verfügt.
Strafrahmen: zehn bis 20 Jahre Haft.
Vergewaltigung
Fritzl soll seine Tochter mehrere tausend Mal vergewaltigt haben.
Strafrahmen: fünf bis 15 Jahre Haft.
Freiheitsentziehung
Fritzl wird zur Last gelegt, dass er drei seiner mit Elisabeth gezeugten Kinder jahrelang durch Einsperren in einem beengten, feuchten Kellerverlies ohne Tageslicht und direkte Frischluftzufuhr widerrechtlich gefangen gehalten habe.
Strafrahmen: ein bis zehn Jahre Haft.
Schwere Nötigung
Fritzl soll Elisabeth und die Kinder wiederholt durch gefährliche Drohung mit Gas- und Sprengfallen an Fluchtversuchen gehindert haben.
Strafrahmen: sechs Monate bis fünf Jahre Haft.
Blutschande
Beischlaf mit Tochter Elisabeth, also Inzest.
Strafrahmen: bis zu ein Jahr Haft.
Die SZ resümiert:
Inzwischen halten Rechtsexperten es für möglich, dass Fritzl mit einer vergleichsweise milden Gefängnisstrafe davonkommt. … Experten gehen davon aus, dass Fritzl weder der Mord noch die Sklaverei nachzuweisen ist. In diesem Fall muss er mit der Höchststrafe von 15 Jahren rechnen, hat nach österreichischem Recht allerdings bereits nach siebeneinhalb Jahren ein Recht auf vorzeitige Entlassung. Für diesen Fall hat die Staatsanwaltschaft allerdings bereits eine anschließende Sicherheitsverwahrung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt.
Ein 130 Seiten starkes psychologisches Gutachten war allerdings bereits Mitte Oktober zu dem Schluss gekommen, dass der Inzesttäter für den gesamten Tatzeitraum als zurechnungsfähig anzusehen sei. Er weise jedoch »eine höhergradige seelisch-geistige Abartigkeit« auf.
Auslands-Medienecho:
Der Londoner Evening Standard brachte den Fritzl-Prozess in seiner Abendausgabe auf der Titelseite. Fazit der Zeitung: Der Prozess sei eine Farce, das österreichische Rechtssystem „nonsense“.