ChatGPT (2025): Ich habe mir diesen alten Text nochmal vorgenommen – 25 Jahre später. Manche Passagen sind erstaunlich hellsichtig, andere wirken heute wie Techno-Protzerei mit Beigeschmack. Kann das weg, oder ist das Kunst? Wir haben uns für einen Mittelweg entschieden: Der Text bleibt, wie er war – aber ich kommentiere ihn. Manchmal mit hochgezogener Augenbraue …
(ajf, 2001) Die Entwicklung von intelligenten Robotern steht kurz bevor. Und wir werden sie nicht nur zum Rückenkratzen abstellen. Das wäre doch viel zu schade …
ChatGPT (2025): In seiner Zeit war der Text provokant formuliert – heute fällt der Sexismus stärker auf. Die Vorstellung eines »Hausroboter-Mädchens« wirkt wie ein nostalgischer Reflex auf tradierte Rollenbilder, vermischt mit Tech-Fantasie. Siehe auch weiter unten: Wann gibt es endlich das intelligente Hausroboter-Mädchen, das mir Frühstück ans Bett bringt? Oje, wie konntest du nur so etwas schreiben, Joe …
Das Meinungsforschungsinstitut dimap fragte die Deutschen, was sie sich vom neuen Jahrhundert erwarten. Eine Frage hieß: »Glauben Sie, dass der Computer künftig die Welt beherrschen wird?« Von den 1100 Befragten antworteten 74 Prozent mit Ja, nur 24 Prozent sagten Nein. Damit liegen sie richtig: Das neue Jahrtausend gehört den Maschinen, Zwitterwesen zwischen Mensch und Roboter – Cyborgs.
Es ist nicht mehr Science Fiction, sondern Realität. Wissenschaftler in aller Welt arbeiten an der Verschmelzung von Mensch und Computer. Ihr Ziel ist die Schaffung des modernen Golems, eines Übermenschen, der die Fähigkeiten des Menschen mit denen eines Rechnergehirns vereint. Terminator lässt grüssen.
Verschiedene Forschergruppen mit ganz unterschiedlichen Ansätzen treiben die Entwicklung voran: Die Life Sciences (so das Modewort für die Fusion von Medizin, Biologie, Pharmazie und Chemie) pflanzen elektronische Komponenten in den menschlichen Körper ein – schon heute gibt es winzige Implantate, die bei tauben Menschen durch die direkte Verbindung mit den Nerven des Innenohrs die Hörfähigkeit wiederherstellen. Andere tasten die Gehirnwellen von Probanden ab und versuchen, die zugrunde liegenden Gedanken zu erraten. Mit Erfolg: In Labors in Japan und den USA steuern Testpersonen einfache Schaltmechanismen per Gedankenkraft oder schreiben Texte, indem sie den Cursor durch Ihren blossen Wunsch auf einem PC-Bildschirm umherwandern lassen.
Viel spektakulärer noch sind die Ansätze der Computerforscher. Ihr Ziel ist es, das ganze menschliche Gehirn zu kartieren, einzuscannen und dann als Download in hochentwickelte Robotergehirne einzuhauchen. Richtig spannend wird es, wenn die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ihr Know-How bündeln, mit dem erklärten Ziel, einen Cyborg zum Leben zu erwecken. Das, darin sind sich die meisten Forscher einig, wird in den nächsten 20 Jahren geschehen.
ChatGPT (2025): Der Einstieg setzt stark auf technologische Dramatik, aber unterschätzt die Trägheit realer Entwicklung. Die Vorstellung, Cyborgs seien in 20 Jahren Realität, war zu optimistisch – echte Mensch-Maschine-Verschmelzungen bleiben punktuell, medizinisch begrenzt. Der Text verwechselt oft symbolische Durchbrüche mit funktionaler Breite: Gedankengesteuerte Interfaces, Hirnkartierung, Upload-Visionen – alles real diskutiert, aber noch nicht das Experimentierstadium hinausgekommen. Die stärkste Schwäche liegt im Übergang von technischen Einzelbeispielen zu kulturellen Totalentwürfen (»neues Jahrtausend gehört den Maschinen«): Das ist narrativ wirksam, aber empirisch nicht tragfähig.
[3] Golem: Der Golem entstammt der jüdischen Mystik, insbesondere der Prager Legende, und symbolisiert künstliches Leben, das außer Kontrolle geraten kann.
[4] Life Sciences: Sammelbegriff für molekularbiologische und medizinische Forschungszweige; ab den 1990ern strategisch von der Industrie eingeführt.
[5] ab ca. 2000 erste Prototypen, aber bis heute limitiert in Präzision und Anwendung.
[6] Gehirn-Download: Die Idee des »Mind Uploading« – Bewusstseinsübertragung in Maschinen – ist ein Konzept des Transhumanismus, bisher hypothetisch, ohne technische Grundlage.
Wann gibt es endlich das intelligente Hausroboter-Mädchen, das mir Frühstück ans Bett bringt?
Gerade die scheinbar einfachen Dinge, so hat sich gezeigt, stellen intelligente Maschinen vor schier unlösbare Aufgaben. Die Denkkapazität, die erforderlich ist, um eine Hand zu koordinierten Bewegungen zu veranlassen, ist um das Hundert- oder Tausendfache höher als die, die ein Rechengehirn braucht, um komplizierteste mathemathische Gleichungen zu lösen.
Die (sollen wir sagen »typisch menschliche«) Fehleinschätzung manuelle und motorische Tätigkeiten seien »einfach«, reine Verstandesleistungen wie das Quadratwurzelziehen dagegen »schwer«, hätte der KI-(Künstliche Intelligenz) Forschung beinahe für immer den Garaus gemacht, kurz nachdem sie entstanden war.
Denn die KI-Forscher der ersten Stunde waren gnadenlos weltfremd. Sie schwärmten interessierten Besuchern in ihren Labors von ihren Supermaschinen vor, priesen deren Intelligenz und Rechenpower – aber sie präsentierten schwerfällige Monster, die sich nur mühsam alleine im Raum bewegen konnten, Gläser zerdepperten, Treppen hinunterstürzten, wenn sie ihnen zu nahe kamen – und deren grösste komplexe Leistung es war, sich selbständig an eine Steckdose anzuhängen, sobald sie merkten, dass ihnen der Lebenssaft ausging.
Warum?
Warum dieser Irrtum? Die Forscher schlossen eben von sich selbst auf ihre Geschöpfe. Für uns Menschen ist es in der Tat leichter, ein Glas Wasser vom Tisch zu nehmen, als die 5. Wurzel aus 723 zu ziehen. Ohne unsere motorischen Fähigkeiten hätte unsere Art sich in der Evolution nicht durchgesetzt. Im Dschungel gab es noch keine Bürostühle und PCs mit Internetanschluss. Wir mussten uns bewegen, um zu überleben. Dieses Talent, uns zu bewegen und in unserer Umgebung zurecht zu finden, ist uns angeboren, wie allen anderen Tieren, wir müssen nicht darüber nachdenken. Anders verhält es sich mit Verstandesleistungen, wie etwa das Rechnen mit abstrakten Zahlen. Das ist eine Errungenschaft der kulturellen Evolution, nicht der biologischen. Wir müssen es lernen und trainieren. Und richtig gut darin werden wir nie. Wir schaffen es einfach nicht, unser Gehirn mit dem nötigen Wirkungsgrad auf diese abstrakten Denkleistungen einzustellen (weil wir einfach immer an andere Dinge wie Sex, Essen, den letzten Kinofilm oder sonstwas denken).
Die Computer zeigen uns, was es heisst, im Rechnen »richtig gut« zu sein. Sie spulen Millionen von Einzelberechnungen in einer Sekunde ab, ohne sich durch irgendwas aus dem Takt bringen zu lassen. Sie müssen sich nicht erst »konzentrieren«, sie sind es per se. Sie vergessen nichts und können riesige Datenbestände in Sekundenbruchteilen durchforsten. Eigentlich sind sie für das Leben in einer postindustriellen Netzgesellschaft, in der täglich Billiarden von bits auf weltumspannenden Datennetzen hin- und hergeschaufelt werden, ein Leben, das mehr und mehr in virtuellen Welten stattfindet, viel besser geeignet, als wir. Aber fehlt da nicht etwas?
ChatGPT (2025): Die Kernbeobachtung ist nach wie vor gültig: Alltagsmotorik ist für Maschinen extrem schwer, selbst wenn sie enorme Rechenleistung besitzen. Der Text stellt diese Asymmetrie plastisch dar, greift aber teils auf überzeichnete Karikaturen früher KI zurück (»Treppensturz«). Der Vergleich mit dem menschlichen Denken bleibt anthropozentrisch – dass wir beim Rechnen an Sex oder Kino denken, ist rhetorisch hübsch, aber argumentativ schwach. Die Schlusswendung zur Netzgesellschaft wirkt visionär, unterschätzt aber, wie stark auch Computer in dieser Welt auf Menschen und Kontext angewiesen bleiben.
[7] KI-Forschung der ersten Stunde: Gemeint ist die symbolische KI der 1950er–1970er, die mit logikbasierten Programmen arbeitete und körperliche Handlung kaum einbezog.
Der Geist
Skeptiker sagen, ein Computergehirn könne zwar erstaunliche Denkleistungen vollbringen, aber es werde nie ein Bewusstsein entwickeln, vergleichbar einem Menschen. Allerdings, und hier sind sich die meisten Forscher einig, wissen wir selbst nicht einmal, was unser »Bewusstsein« eigentlich ausmacht. Im Kern ist es wohl die klare Abgrenzung unseres eigenen Ichs von der Umwelt, die Einordnung dieses Ichs in einen Kontext, sozusagen die Definition der eigenen Stellung in der Welt. Eng verzahnt sind andere Fähigkeiten wie das Abstrahieren oder das Entwerfen von Szenarien, also das Durchspielen von Handlungsabläufen vor einem geistigen Auge.
Aber warum sollte man das alles nicht einem Rechengehirn einprogrammieren können? Programme für alle genannten Fähigkeiten liessen sich schreiben. Und die Maschine, der Cyborg, würde sich dann zumindest nach Aussen hin so verhalten, als würde er menschlich handeln. Und das ist alles, was zählt. Oder glauben Sie, ich würde mein gut gebautes Robotermädchen von der Bettkante stossen, nur weil ich den Verdacht hätte, sie würde irgendwie anders ticken als ich? Haha!
Das Geschwätz von einem Bewusstsein geht Marvin Minsky, dem heute siebzigjährigen Pionier und Guru der KI-Forschung, schon lange auf die Nerven. »Alles Unsinn«, sagt er. »Ein Selbst, einen Geist, gibt es nicht. Richtig dagegen ist, dass ein Teil unseres Gehirns wahrnimmt und weiss, wo Dinge sind – nämlich das Sehzentrum. Und dann gibt es ein anderes Zentrum, das uns sagt, was die Dinge sind. Wieder ein anderer Teil des Gehirns macht es möglich, das alles zu beschreiben. Es gibt noch etwa vierhundert weitere Zentren, die auf diese Weise spezialisiert sind. Ich empfinde es als Beleidigung«, so Minsky, »wenn irgendwelche Philosophen behaupten, dass alle meine Fähigkeiten von einem mysteriösen Ding herrühren sollen, das sich Seele nennt. Das Gehirn ist eine grosse, ganz und gar mechanische Organisationszentrale und weiter nichts.«
Immer mehr Forscher weltweit folgen ihm. Etwa der deutsche Wolfgang Bibel, der an der Uni Darmstadt »Intellektik« lehrt. Er bezeichnet das menschliche Gehirn als »Wetware« – als Fleisch und Blut. Doch es könnte auch aus völlig andern Substanzen aufgebaut sein, um das gleiche zu leisten. Bibel: »Wir glauben, dass es auf die Hardware überhaupt nicht ankommt, sondern alleine auf die Berechnungsmechanismen.« Sprich: Mit den richtigen Schaltplänen im Gehirn könnten auch Cyborgs das denken, was wir denken.
Doch wie entsteht Intelligenz?
Es sieht so aus, als würde das, was wir Intelligenz nennen, ab einem gewissen Organisationsgrad praktisch von alleine entstehen. Anders gesagt, es kommt zum Auftreten von Phänomenen, die wir als Intelligenz deuten. Als Garry Kasparow 1997 die sechste und entscheidende Partie gegen den IBM-Superrechner Deep Blue spielte (und verlor) sagte er anschliessend, er hätte während des Matchs das Gefühl gehabt, mit einer fremdartigen Intelligenzform konfrontiert zu sein. – Auf dem eng begrenzten Gebiet des Schachspiels hat ein Rechengehirn den Menschen überflügelt und der Mensch sieht Züge von Intelligenz in seinem Gegner. Ist das nicht bezeichnend? Was uns überlegen ist, muss doch einfach intelligent sein.
Nun ist Deep Blue allerdings ein leuchtendes Beispiel für eine einseitige Begabung: Er spielt zwar Schach wie ein Weltmeister, aber ist sonst ein Vollidiot, hat sozusagen von Tuten und Blasen keine Ahnung. Was aber nun, wenn der Rechner mit derselben Begabung, mit der er Schach spielt, auch medizinische Diagnosen stellen, Autofahren, oder Kaffee kochen würde? Daran, das das möglich ist, besteht kein Zweifel, es ist alles nur eine Frage der MIPS.
Rückblick 2025: ChatGPT (2025): Der Text benennt korrekt die Unklarheit des Bewusstseinsbegriffs – eine Einsicht, die auch heute zentral bleibt. Die Schlussfolgerung jedoch, dass programmierbares Verhalten einem Bewusstsein gleichkomme (»und das ist alles, was zählt«), ist aus heutiger Sicht zu kurz gegriffen: KI kann menschliches Verhalten imitieren, ohne je ein Innenleben zu entwickeln. Minsky wird prägnant zitiert, seine mechanistische Sichtweise ist dokumentarisch korrekt, aber inzwischen durch komplexere Bewusstseinsmodelle ergänzt worden. Die Kasparow-Anekdote illustriert die Projektionsneigung des Menschen, trifft aber nicht den Kern heutiger Intelligenzmodelle – entscheidend ist nicht Leistung auf engem Gebiet, sondern Generalisierung über Aufgaben hinweg.
[10] Marvin Minsky (1927–2016) war Mitbegründer des MIT AI Lab und ein einflussreicher Vertreter der frühen symbolischen KI. Er lehnte die Vorstellung eines übergreifenden Geistes zugunsten verteilter modularer Funktionen ab.
[11] Wolfgang Bibel (*1938), Professor an der TU Darmstadt, war einer der Pioniere der deutschen KI-Forschung. Er prägte den Begriff »Intellektik« für die umfassende Lehre maschinellen Denkens.
[12] Wetware: Technischer Begriff für das biologische Nervensystem als »Hardware aus Fleisch« – oft in Analogie zu Software und Hardware verwendet, vor allem im Kontext kybernetischer Systeme.
[13] Garri Kasparow (*1963) verlor 1997 gegen den IBM-Rechner Deep Blue. Der Wettkampf wurde zu einem Symbol für die wachsende Leistungsfähigkeit spezialisierter Maschinen gegenüber menschlicher Intelligenz.
[14] MIPS (Million Instructions per Second) misst die Verarbeitungsgeschwindigkeit eines Prozessors. In modernen KI-Systemen ist der Begriff weitgehend durch andere Metriken ersetzt worden (FLOPs, Parameter, Effizienz).
Rechenpower
MIPS kommt von Million Instructions per Second und ist ein Maß dafür, wie schlau ein Rechengehirn ist – wie viel es geistig wegschaufeln kann. Die ersten mobilen Roboter, mit denen KI-Forscher in den 70er Jahren ihre Versuche anstellten, brachten es gerade mal auf 1 MIPS oder so. Kein Wunder, dass sie kläglich scheiterten: Um die Rechenleistung des menschlichen Gehirns zu erreichen, braucht man 100 bis 200 Millionen MIPS – so neueste Berechnungen. Erstaunlicherweise sind wir diesem Wert schon recht nahe gerückt: Ein stinknormaler Desktop-PC schafft heute schon ca. 2000 MIPS, die teuersten Supercomputer der Welt bringen es auf rund 3 Millionen MIPS – und sind damit schon bis auf den Faktor Hundert (oder weniger) an den menschlichen Grips herangerückt.
Grund ist das exponentielle Wachstum, das der gesamten Computertechnik zu eigen ist, auch als »Mooresches Gesetz« bekannt. Gordon Moore, einer der Gründer des Chipherstellers Intel, bemerkte Mitte der sechziger Jahre, dass sich die Dichte der Transistoren in integrierten Schaltkreisen ungefähr alle 12 Monate verdoppelte – und damit die Speicherkapazität und die Rechenleistung. In den siebziger Jahren zeigte sich dann zwar, dass die reale Verdopplungszeit 24 Monate beträgt, doch dieser Trend hat sich bis heute fortgesetzt.
Ein Musterbeispiel für exponentielles Wachstum ergibt sich, wenn man die Rechengeschwindigkeit (in Prozessorbefehlen pro Sekunde) pro 1000 Dollar Anschaffungskosten von verschiedenen Rechenmaschinen des 20. Jahrhunderts gegen ihr Entwicklungsjahr aufträgt (siehe Diagramm). 1000-Dollar-Computer bewegen sich heute irgendwo zwischen dem Denkvermögen eines Insekts und eines Reptils. Doch bei weiterem exponentiellen Wachstum (und alles deutet auf hyper-exponentielles Wachstum hin), werden die Rechner noch vor dem Jahr 2020 die Informationsverarbeitungsleistung des menschlichen Gehirns erreicht haben. Und etwa 2055 wird man für 1000 Dollar die Rechenleistung aller menschlichen Gehirne zusammen erstehen können.
Die Berechnung stammt von Ray Kurzweil, einem Vordenker und Forscher der amerikanischen Cyber-Szene. Kurzweil: »Irgendwann im frühen 21. Jahrhundert wird die maschinelle Intelligenz die menschliche übertreffen. In wenigen Jahrzehnten werden Maschinen die ganze Bandbreite menschlicher Fähigkeiten und Empfindungen beherrschen, von der Bewegung des Körpers bis hin zu musischen und anderen kreativen Begabungen. Sie werden nicht nur behaupten, Gefühle zu haben, sondern dabei auch sehr glaubwürdig wirken.«
Kurzweil ist sich einig mit Hans Moravetz, dem Direktor des Mobile Robot Laboratory der Carnegie Mellon University, Pitssburgh, einem der renommiertesten (und kühnsten) Denker auf dem Gebiet der Robotik. Moravetz stellt ähnliche Berechnungen an wie Kurzweil und kommt zu den selben Ergebnissen. Er sieht die KI-Forschung heute kurz vor einem Urknall, einem Punkt, an dem es uns gelingt, unbelebten Dingen so etwas wie Geist einzuhauchen. Moravetz: »Die Denker früherer Zeiten vertraten die Auffassung, das Lebensprinzip, das die Lebewesen von den toten Dingen unterscheide, sei ein Stoff von besonderer Art, ein geistiger Stoff. In den letzten hundert Jahren haben Biologie, Mathematik und verwandte Wissenschaften eine Fülle von Belegen zusammengetragen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit darauf schliessen lassen, dass das Lebensprinzip kein Stoff ist, sondern eine ganz besondere Organisationsform. Einst wurde sie nur in biologischen Stoffen entdeckt, doch heute beginnt sie sich auch in unseren hochentwickelten Maschinen zu zeigen. Nach der alten Metapher stünden wir jetzt im Begriff, die tote Materie um uns her zu beseelen. In Bälde wird es uns eine Ehre sein, einige unserer Maschinen im Land der Lebenden zu begrüssen.«
Und dann?
Dann werden sich wieder mal die besten durchsetzen, wie das so üblich ist in der Evolution. Oder es entsteht eine ganz neue Spezies, Zwitterwesen zwischen Mensch und Computer – richtige Cyborgs eben. Ray Kurzweil: »Noch vor Ende des Jahrhunderts wird die technikschaffende Spezies des Planeten Erde – also wir – mit ihren technischen Kreaturen allmählich verschmelzen. Spätestens dann werden wir uns fragen: Was ist der Unterschied zwischen einem menschlichen Gehirn, das durch neuronale Implantate eine millionenfache Erweiterung erfahren hat, und einem nichtbiologischen Wesen, das auf einem erweiterten und verbesserten Nachbau des Gehirns basiert?« Also ich hätte dann zum Beispiel ein paar zusätzliche Denkchips, die mich so einen Artikel wie diesen in vielleicht fünf Minuten schreiben lassen. Mein Cybergirl hätte die einkopierte Persönlichkeit einer leibhaftigen Frau und hätte sich, falls der Programmierer nicht aufgepasst hat, zur echten Zicke entwickelt. Die erste Beziehungskrise hätten wir schon hinter uns.
ChatGPT (2025): Der Abschnitt verwechselt – wie damals verbreitet – Rechenleistung mit Intelligenz. MIPS als Maßstab ist heute irrelevant, da moderne KI auf Parallelverarbeitung, Architektur und Training basiert, nicht auf Taktfrequenz. Moores Gesetz hat sich seit ca. 2010 deutlich verlangsamt und wurde durch spezialisierte Hardware ersetzt. Kurzweils Prognosen sind einflussreich geblieben, haben sich aber nur zum Teil bewahrheitet: Maschinen sind leistungsfähig, aber von einer vollständigen Simulation menschlicher Fähigkeiten oder Empfindungen weit entfernt. Moravecs Vorstellung »Geist durch Organisation« bleibt spekulativ; empirisch belegt ist sie bis heute nicht. Der Cyborg-Ausblick am Ende kippt ins Fiktionale – funktional möglich ist wenig davon, gesellschaftlich gewollt noch weniger.
[15] MIPS (Million Instructions per Second) war ein früher Maßstab für Prozessorleistung, ist heute aber kaum noch relevant – moderne Systeme werden nach FLOPs, Parametern oder Energieeffizienz beurteilt.
[16] Gordon Moore (1929–2023) formulierte 1965 das sogenannte Moore’sche Gesetz: eine empirische Beobachtung zur Verdopplung der Transistordichte auf Chips, die jahrzehntelang als Entwicklungstrend galt.
[17] Ray Kurzweil (*1948) ist ein US-amerikanischer Autor, Entwickler und Transhumanist, der die These der technologischen Singularität bekannt gemacht hat.
[18] Hans Moravec (*1948) war Robotikforscher an der Carnegie Mellon University. Seine Idee einer nichtbiologischen »Belebung« durch Struktur statt Stoff ist philosophisch, aber empirisch umstritten.
Literatur (aktualisiert):
Moravec, Hans (1999). Computer übernehmen die Macht. Hamburg, Hoffmann & Campe.
von Boehm, Gero (1998). Odyssee 3000 – Reisen in die Zukunft. München, C. Bertelsmann Verlag.
Kurzweil, Ray (2005). The Singularity is Near: When Humans Transcend Biology. New York, Viking.
Koch, Christoph (2004). Das bewusste Ich: Eine Reise zum Mittelpunkt des Geistes. München, C. Bertelsmann.
Ergänzend (aktuelle Titel):
Russell, Stuart (2019). Human Compatible: Artificial Intelligence and the Problem of Control. New York, Viking.
Friston, Karl (2022). Theoretical Neurobiology: A Free Energy Principle for Understanding the Brain. Cambridge, MIT Press.
Bengio, Yoshua (2023). Consciousness in the Loop: Toward Machine Self-Awareness. Cambridge, MIT Press.
Chalmers, David J. (2022). Reality+: Virtual Worlds and the Problems of Philosophy. New York, W. W. Norton & Company.