(ajf) Der Österreicher ›Jack‹ (Johann) Unterweger (1950–1994) ist einer der berüchtigtsten europäischen Serienmörder, nicht so sehr wegen der Anzahl seiner Opfer – zehn Morde1 konnten ihm letztlich nachgewiesen werden – als wegen der besonderen Umstände des Falles.
Nach komplizierter Jugend wurde Unterweger schon in jungen Jahren straffällig und saß kleinere Haftstrafen ab. Im Jahre 1974 ermordete er in Herborn/Hessen auf brutale Art und Weise eine 18‑Jährige, drosch in einem Waldstück mit einer Stahlrute auf sie ein und erdrosselte sie mit ihrem Büstenhalter (während seine Freundin im Auto wartete). Unterweger wird dingfest gemacht und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Im Gefängnis in Stein/Krems in Niederösterreich beginnt er eine Metamorphose, bildet sich mit Büchern weiter, belegt einen Fernkurs in Erzähltechnik und beginnt schließlich selbst zu schreiben. Er verfasst Gedichte, eine Autobiografie (dieses Buch) und schreibt schließlich sogar als Auftragsarbeit des Österreichischen Rundfunks regelmäßige Gute‑Nacht‑Geschichten für Kinder.
Man schreibt die späten 1980er Jahre, in Folge der 68er‑Bewegung schwappt eine liberale Welle durch Politik und Justiz; der österreichische Justizminister sinniert sogar darüber, den Strafvollzug gänzlich abzuschaffen. Zahlreiche Prominente werden auf Unterweger aufmerksam, unter anderem setzen sich die Schriftsteller Elfriede Jelinek, Erich Fried, Ernst Jandl und Günter Grass2 für seine Freilassung ein, denn Unterweger gilt als Paradebeispiel für erfolgreiche Resozialisierung – obwohl er im Gefängnis niemals eine Therapie oder etwas Ähnliches gemacht hatte. Im Mai 1990 wird der Häfen‑Poet3, wie man ihn nun nennt, ohne Auflagen in die Freiheit entlassen.
Unterweger lässt sich in Wien feiern, hat spektakuläre Auftritte, meist in weißem Anzug mit roter Rose im Knopfloch, fährt einen auffälligen weißen Ford Mustang Mach 1 (Kennzeichen: W – Jack 1) und pflegt parallele Liebschaften mit mehreren Frauen. Sein Charisma und seine Fähigkeit zur Manipulation ermöglichen das Spiel. Eine Wiener Journalistin und gute Bekannte Unterwegers: »Es war direkt unheimlich, wie die Frauen auf ihn abfuhren.«
Sechs Monate nach der Haftentlassung beginnt in Österreich eine rätselhafte Mordserie an Prostituierten. Unterweger, inzwischen auch für diverse Zeitschriften und Magazine arbeitend, interviewt als milieukundiger Experte dazu sogar den leitenden Wiener Kriminalkommissar und lässt sich auf den neuesten Stand der Ermittlungen bringen. Im Juni 1991 begibt er sich auf eine fünfwöchige Recherche‑Reise für ein Innsbrucker Gesellschaftsmagazin ins Prostituiertenmilieu von Los Angeles. Kurz darauf werden auch dort Frauenleichen gefunden.
Die Hinweise auf Unterweger verdichten sich, worauf er sich mit seiner 18‑jährigen Freundin Bianca nach Miami absetzt. Dort wird er beim Versuch, bei einer Western‑Union‑Filiale Geld entgegenzunehmen (gesendet von einer anderen Geliebten), festgenommen. Man macht ihm in Wien den Prozess. Die Beweislage ist dünn und es gibt nur wenige handfeste Indizien. Am signifikantesten ist, dass sich Unterweger bei allen Morden (in Wien, Graz, Vorarlberg, Prag und Los Angeles) am Tattag ganz in der Nähe des jeweiligen Tatorts aufgehalten hatte.
Vor Gericht versuchte Unterweger, seine manipulativen Fähigkeiten auszuspielen, und hielt eine lange Ansprache an die Geschworenen. Die Öffentlichkeit hatte jedoch inzwischen den Glauben an den ›geläuterten‹ Ex‑Knacki verloren. Im Juni 1994 verurteilte man ihn zu lebenslanger Gefängnisstrafe ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung. Sechseinhalb Stunden später erhängte sich Unterweger in seiner Zelle und verwendete dabei den gleichen Würgeknoten, den er auch stets bei seinen Opfern angewandt hatte.
»Fegefeuer, oder Die Reise ins Zuchthaus« ist das Buch, mit dem Unterweger seine Popularität als Knastschriftsteller erlangte4 – und es ist auch sein literarisch gelungenstes Werk. Wobei heute stark in Zweifel gezogen wird, dass er Alleinautor war – denn schon damals hatte er eine ihm sehr zugewandte literarisch versierte Helferin in seinem Unterstützerkreis. – »Jack« hat Einzug in die Popkultur gefunden. Zahlreiche Musikbands ließen sich zu Songs inspirieren, es gibt viele Dokumentationen, Theaterstücke und Filme über den charismatischen Serienkiller Jack Unterweger.
Aus dem Buch: Fegefeuer, oder Die Reise ins Zuchthaus, 2025
Editor: A. J. Fischer
ISBN-13: 978-9464805291 | Brave New Books
- Im Prozess 1994 konnten Unterweger die Morde an neun Frauen nachgewiesen werden. Hinzu kommt sein erstes Mordopfer Margret Schäfer im Jahr 1974. Eine Anzahl weiterer Morde werden ihm zugerechnet. ↩
- Sowohl Elfriede Jelinek (*1946) als auch Günter Grass (1927–2015) sind Literatur‑Nobelpreisträger; Jelinek 2004, Grass 1999. ↩
- ›Häfen‹ steht im Wiener Dialekt für Gefängnis; die Grundbedeutung bezeichnet »Behälter, Topf« oder »etwas Abgegrenztes«. ↩
- Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Unterweger die Autobiografie in seinem Sinne schönte und etwa seine Kindheit drastischer darstellte, als sie tatsächlich war. ↩