1. Eine verborgene Welt
(gpt/ajf) Anfang Juli 2025 bringt die Festnahme von Ziz LaSota eine unter dem Radar agierende Internet‑Szene auf die Titelseiten. Jahrelang war die ›Rationalisten‹‑Community ein abgeschlossener Kosmos: Foren, endlose Debatten über Künstliche Intelligenz, über Risiken für die Menschheit, klandestine Treffen in gemieteten Konferenzräumen. Jetzt steht ein Abkömmling dieses Milieus plötzlich im grellen Licht – wegen einer Reihe von Gewalttaten. Ein intellektueller Zirkel zeigt sich nun für Ermittler als Szene mit Blutspur – und eine ihrer schillerndsten Figuren steht plötzlich im Zentrum eines Strafverfahrens.
2. Die Rationalisten – Ursprung
Die Bewegung entstand Ende der 2000er‑Jahre in Foren wie LessWrong. Ihr Ziel war fast utopisch: Mit Logik, Wahrscheinlichkeiten und Bayes’schem Denken klarer sehen – und vielleicht die großen Fehler der Menschheit verhindern. Daraus wuchs ein eigenes Ökosystem: Bücher, Podcasts, Denk-Zirkel – und ein gewisser Kultstatus. In Silicon Valley zog das alle an, die glauben, dass sich die Welt mit genügend Verstand modellieren und reparieren lässt.
Doch die versprochene Klarheit bekam Risse. Die einen verloren sich in endlosen Diskussionen über Weltuntergang und KI‑Zukunft. Andere machten aus Rationalität einen Lebensstil: Polyamorie, Nootropika, Selbstversuche, Träume von Unsterblichkeit. Aus einer Methode des Denkens wurde eine Identität. Und mit ihr Streit: Wer gehört dazu, wer ist vom Weg abgekommen?
An den ausgefransten Rändern dieser Szene begannen sich Einzelne abzusetzen. Einer davon war Ziz LaSota.
3. Ziz LaSota – Kindheit, Identität, Transition
Jack »Ziz« LaSota, 1991 in Fairbanks (Alaska) geboren, war ein eigenwilliger, frühreifer Junge: Mathematik, Computerspiele, Debatten – das war seine Welt. Als Teenager stößt er auf LessWrong [hier zur Website] und andere Rationalisten‑Foren, die sich vorgenommen haben, mit Logik und Statistik die Welt von Denkfehlern zu befreien. 2013 macht er seinen Bachelorabschluss in Computertechnik, absolviert ein Praktikum bei der NASA, bricht aber dann das Aufbaustudium ab.
In den frühen Zwanzigern beginnt er seine Transition und lebt fortan als Trans-Frau – ein Schritt, der seine/ihre Rolle in der Szene schärft und der polarisieren wird. Er/sie wirft Organisationen wie CFAR und MIRI vor, Trans-Frauen systematisch zu marginalisieren. Parallel radikalisiert er/sie sich: unihemisphärischer Schlaf, Debucketing‑Theorie, psychedelische Selbstversuche.
Nach Protesten gegen CFAR‑Veranstaltungen wird (nun endgültig) sie ausgeschlossen. Konferenzen ignorieren sie, Mails versanden, ihre Essays bleiben unbeachtet. Wer sie kennt, sagt: Das war der Punkt, an dem sie aufhörte, gegen die Szene zu argumentieren – und begann, selbst eine Szene um sich aufzubauen.
4. Von der Randfigur zum Prediger
Was dann folgte, war kein Plan, sondern ein Sog. Mitte der 2020er Jahre versammelt LaSota online einen Kreis von Anhängern – Menschen, die, ihre langen, wilden Texte verschlingen, ihre Tabubrüche bewundern und den Eindruck haben, hier lebt jemand ohne Bremse. Sie selbst lehnt den Begriff ab, aber bald wird die Gruppe »Zizians« genannt.
Ihre Schriften mischen Angst vor unkontrollierter KI mit einem radikalen Moralprogramm: Die Welt steuere auf den Abgrund zu, die Institutionen hätten versagt, der einzige Weg sei der Bruch mit allen Grenzen. Schlafentzug, strenger Veganismus, Halluzinogene, Übungen zur Auflösung von Identitäten werden zu Erkennungszeichen der Gruppe.
Aus kleinen Treffen in San Francisco und nächtlichen Online‑Calls wird eine sektenartige Struktur. Während sie sich endgültig von den Rationalisten löst, warnen andere vor einem Personenkult. Spätestens 2023 ist der Bruch total: Sie ist keine Abweichlerin mehr, sondern das Zentrum ihrer eigenen Gruppe.
5. Das Silicon Valley als Resonanzboden
Die Bay Area liefert Kulisse und Verstärker. In Cafés und Co‑Living‑Häusern von San Francisco ist die Rationalisten‑Szene längst mit der Tech‑Welt verschmolzen: Programmierer, Gründer, Investoren, die bei Kombucha über ›Alignment‹ und ›Existenzrisiken‹ reden. In dieses Milieu platzt LaSota – eine Ausgestoßene, deren Radikalität abstößt und fasziniert.
Einige ihrer Anhänger arbeiten in großen KI‑Labs oder kleinen Start‑ups, andere schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch und verbringen die Nächte in Discord‑Calls, wo technische Spekulation und persönliche Beichte ineinanderfließen. LaSota – halb Prophetin, halb Provokateurin – passt perfekt in eine Welt, die Regelbruch und den Mythos des Genies am Rand feiert.
Von außen wirkt es wie eine Subkultur, die von denselben Strömungen lebt wie das Valley selbst: dem Glauben, dass genug Intelligenz alle Grenzen sprengen kann. Von innen ist es dunkler: die Überzeugung, dass die Tech‑Eliten bequem geworden sind und dass nur ein radikaler Bruch die Zukunft erzwingt.
6. Überzeugungen, Methoden und Ziele der Zizians
Die Kernthese der Zizians: Die Zivilisation steuert ungebremst auf den Abgrund einer außer Kontrolle geratenen KI zu – und kaum jemand will das ernsthaft stoppen. Alles andere – Experimente, Manifeste, Selbstzerstörung – kreist um diesen Punkt.
Ihr Leben sehen die Zizians als Training: unihemisphärischer Schlaf, um die Grenze zwischen Wachen und Träumen aufzulösen; strenger Veganismus als Disziplin; Debucketing, also das Auflösen aller Kategorien wie Geschlecht, Status oder sogar geistige Stabilität, weil diese, so ihre Überzeugung, klares Denken verhindern. Das Ziel, seitenlang von LaSota ausgebreitet, ist nicht Reform, sondern Bruch. Eine Spezies von Mensch soll geformt werden, die über das ›menschliche Gehäuse‹ hinausdenkt – und handelt, wenn der Moment gekommen ist. Was dieses Handeln heißt, bleibt absichtlich vage. Seit den Gewalttaten klingt es nicht mehr wie Mystik, sondern wie Drohung.
7. Vom Netz auf die Straße – Aktionen, Taten, Tote?
Lange bleibt die Welt der Zizians virtuell: Chats, Blogs, nächtliche Gesprächsrunden. Zwischen 2022 und 2025 kippt es dann. In Vallejo wird ein Vermieter nach einem Streit mit Zizian‑Mitgliedern erschlagen. In Pennsylvania wird ein älteres Ehepaar tot gefunden, das mit einer Aussteigerin in Verbindung stand. In Vermont endet ein Streit mit einem Grenzbeamten mit Schüssen und zwei Leichen.
Für Ermittler ist das kein Zufall. Sie sehen ein Muster: wachsender Widerstand gegen Autorität, der in Gewalt umschlägt. Als Bundesagenten LaSota im Februar 2025 festnehmen, lautet die Anklage auf Waffenbesitz, Behinderung und Verschwörung. Dahinter steht der größere Vorwurf: dass die Gruppe den Sprung aus der digitalen Nische in die reale Welt will – mit Terror, und mit bisher sechs Toten.
Der für 2026 angesetzte Prozess soll klären, ob LaSotas Gruppe juristisch als Sekte mit krimineller Struktur gilt – und ob ihr Bruch mit der Rationalisten-Szene der Auslöser für eine Gewaltspirale war, die sie selbst nicht mehr kontrollierte. LaSota sitzt seit Februar 2025 in Untersuchungshaft. Ihre Anwälte sprechen von ideologischer Verfolgung und bestreiten jede Verantwortung für die Taten der sogenannten Zizians.
Manche Beobachter sehen darin ein bekanntes Muster: eine charismatische Führerfigur, ein Kreis von fanatischen Anhängerinnen, eine Eskalation von Theorie zu Gewalt. Was als ideologischer Bruch mit der Rationalisten-Szene begann, erinnert inzwischen beunruhigend an die Manson-Family – jenen ebenfalls kalifornischen Kult um Charles Manson, der in den späten 1960er-Jahren mit apokalyptischen Fantasien und brutalen Morden Schlagzeilen machte. Die Frage ist längst nicht mehr, woran die Zizians glauben – sondern, wie weit sie für ihre Reinigung der Welt zu gehen bereit sind.
- LessWrong: Ein 2009 von Eliezer Yudkowsky gegründetes Online‑Forum, das als Ursprung der Rationalisten‑Bewegung gilt. Themen: rationales Denken, KI‑Risiken, Entscheidungstheorie. ↩︎ ↩︎
- CFAR / MIRI: Center for Applied Rationality und Machine Intelligence Research Institute – zwei Organisationen, die aus der Rationalisten‑Community hervorgegangen sind. ↩︎
- Unihemisphärischer Schlaf: Ein ungewöhnliches Schlafmuster, bei dem immer nur eine Gehirnhälfte schläft, während die andere wach bleibt. In der Natur etwa bei Delfinen; in der Szene von Ziz als Selbstexperiment praktiziert. ↩︎
Bayessches Denken: Denkweise auf Grundlage der Bayes’schen Wahrscheinlichkeitstheorie, bei der Annahmen ständig anhand neuer Evidenz angepasst werden. ↩︎ - Debucketing: Szenejargon für das Auflösen gedanklicher Schubladen (»buckets«) – Kategorien wie Geschlecht, Status oder Rolle sollen bewusst dekonstruiert werden, um angeblich freier zu denken. ↩︎
- Nootropika: Substanzen (»Smart Drugs«), die angeblich Konzentration, Gedächtnis oder Kreativität steigern sollen. ↩︎