Der Soziopath von nebenan

(ajf) Das Buch Der Soziopath von nebenan‹ von Martha Stout ist zur Zeit bei amazon und den meisten anderen Online-Buchhändlern ausverkauft. Die prominenteste Unbekannte des Landes, das mutmaßliche Kachelmann-Opfer Sabine W. (so der von vielen Medien benutzte Tarnname) hielt sich dieses Buch neulich bei der Autofahrt ins Gericht schützend vor das Gesicht, um nicht fotografiert zu werden. Aufgeklappt und bestens sichtbar. In Ermangelung anderer Fakten thematisierten sofort alle Medien das Buch. Der beste PR-Effekt, der dem Wiener Springer Verlag hatte passieren können. Die Zukunft sieht nun so aus: Presseabteilungen von Buchverlagen bestücken aufmerksamkeitsträchtige Angeklagte regelmäßig mit ihren neuesten Publikationen, zur medienwirksamen Beschirmung. Ja, vielleicht werden sogar Buchtitel speziell für diesen Zweck auf den Markt gebracht: ›Die Fahrt ins Gericht‹ wäre ein schöner Titel. – Doch Spaß beiseite.

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Kachelmann | So einige rufen im Geiste: ›Schwanz ab!‹

(ajf) Ich war nie ein Fan von Jörg Kachelmann. Seine joviale, humorvoll-biedere Art im TV nervte mich, und wenn er auf der Mattscheibe auftauchte, zappte ich meist weg. Nun ist es aber langsam Zeit, Partei für ihn zu ergreifen, denn was da in Mannheim stattfindet, ist längst kein fairer Prozess mehr. Vorläufiger Endpunkt in einer ganzen Kette von Unverständlichkeiten: Gestern lehnte das Gericht den von Kachelmanns Verteidigern bestellten Gutachter Bernd Brinkmann wegen Befangenheit ab. Obwohl, oder gerade weil der Mann erstaunliche Erkenntnisse in den Prozess einbrachte:

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Vorsicht, Gen!

(ajf) Die ganze Aufregung um Thilo Sarrazins Buch habe wegen Urlaubs ich aus der Distanz verfolgt, aber so einige Diskussionsfetzen sind doch zu mir durchgedrungen. Zum Beispiel habe ich das Gefühl, dass man das Wort ›Gen‹ in Deutschland nur mit äußerster Vorsicht gebrauchen darf, insbesondere im Zusammenhang mit Eigenschaften bestimmter Populationen oder Gruppen. Mir kommt das vor, als würde man mit der Leugnung von Genen hinter das wissenschaftliche Zeitalter zurückfallen.

Natürlich haben bestimmte Teilpopulationen der Menschheit gemeinsame oder auch unterschiedliche Gene. Dass z.B. die Schwarzen schwarz sind und die Chinesen mandelförmige Augen haben, liegt nicht an Erziehung oder Schönheitsoperationen, sondern wird durch Gene vererbt. Gene, die sich im Lauf der Jahrtausende an bestimmte Lebensumstände angepasst haben. Das betrifft sowohl körperliche als auch psychische Eigenschaften der Menschen. Wir sind nicht ›alle gleich‹ – um das festzustellen, brauchen wir nur in den Spiegel zu schauen.

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Die ultimative Wahrheit über Mann & Frau in 900 Worten

(ajf) Bücherzauberin Gesine von Prittwitz (www.prittwitzundpartner.de) hat mich anlässlich der Neuauflage von ›Frauen‹ ins Gebet genommen. Hier das Interview:

Hand aufs Herz: Meinen Sie, dass sich ein Mann heute noch rühmen kann, das stärkere Geschlecht zu sein?
Naja, das kommt ganz drauf an, worauf man dieses stärker bezieht. Aber eigentlich und insgeheim, und die Frauen wissen das natürlich, waren Männer noch nie das stärkere Geschlecht. Die körperliche Überlegenheit des Mannes, wenn wir es jetzt mal nur daran festmachen, hat die Frau seit Jahrtausenden mit besseren Psycho-Methoden und Mani­pulationstechniken kompensiert. Dagegen sind Männer harmlose Lämmchen.

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Wer bin ich, und wenn ja, was lese ich über die Liebe?

(ajf) Wer sich mit der Liebe und ihren komplexen Nebenphänomenen beschäftigt, kommt zur Zeit an einem Buch kaum vorbei: Richard David Prechts Bestseller ›Liebe – ein unordentliches Gefühl‹. Also landete das Liebes-Epos schließlich auch auf meinem Schreibtisch. Und beim Lesen stellte sich dann bei mir tatsächlich ein verwirrendes, unordentliches Gefühl ein. Allerdings nicht so, wie es der Buchtitel meint.

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Fünf populäre Irrtümer über die Liebe

(ajf)
Irrtum Nummer 1: Wahre Liebe hält ewig

Ein verbreiteter Irrglaube: Wenn es nicht gehalten hat, dann war es keine wahre, keine echte Liebe. Doch, das war es. Sonst hättet ihr es wahrscheinlich gar nicht bis ins Bett und in die gemeinsame Wohnung geschafft, oder jedenfalls nicht mehr als einmal. Es gibt keine größere oder kleinere Liebe – es gibt nur die Liebe. Und wenn sie uns packt, dann ist es für den Moment der richtige Partner. Wie lange dieser Moment andauert, steht auf einem ganz anderen Blatt.

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Das wissende Ich in Dir

(ajf)
Ein befreundeter Psychologe sagte neulich, dass viele Menschen heutzutage die Fähigkeit zur reflektierten, besonnenen Kommunikation verloren haben. Grund: Sie seien zu sehr in ihren eigenen Problemen verhaftet. Das führt dazu, dass die ichbezogenen Wertungen, Kränkungen, Urteile jedem fremden Thema übergestülpt werden – alles wird verzerrt.

Grund für diese Störung ist häufig ein fehlender Selbstkontakt. Sehr vielen Menschen gelingt es nicht, die eigenen impliziten Wünsche zu erkennen und ihnen zu folgen. Und das ist in der Tat auch nicht ganz einfach, wie Motivationspsychologen und Hirnforscher herausgefunden und in die neue Theorie der Selbstkongruenz gepackt haben.

Implizite Wünsche sind archaisch

Die impliziten Wünsche sind – wie der Name schon sagt – nicht offensichtlich, sondern in tieferen Schichten unseres Selbst verborgen. Sie stammen aus der Kindheit, schon aus Babytagen, und vielleicht sogar aus der Zeit vor unserer Geburt: Als genetische Codes haben sie sich in unser Erbmaterial eingeschlichen und repräsentieren archaische Begierden, Triebe und Wünsche.

Seine versteckten Wünsche zu erkennen, ist nicht so einfach, denn sie sind von tausend anderen rationalen Dingen überlagert. Wenn wir uns befragen, in uns hineinhorchen, werden wir an diesem Schutzwall des Rationalen hängen bleiben und selten zum wahren Kern durchdringen.

Menschen aber, die ihre tatsächlichen Ziele und Aktivitäten mit ihren impliziten Wünschen in Deckung bringen konnten – sei es zufällig oder gezielt –, kann man erkennen: Sie wirken auf uns authentisch, in sich ruhend, glaubwürdig und selbstsicher. Menschen, denen der »Selbstkontakt« fehlt, wirken kompliziert, unausgeglichen, entscheidungsschwach, unzufrieden und unsicher.

Der Persönlichkeitskern steckt in tiefen Schichten unseres Gehirns

Es lohnt sich also, auf die Suche nach den eigenen impliziten Wünschen zu gehen. Aber wo findet man sie?

Vor nicht allzu langer Zeit waren Wissenschaftler noch der Meinung, es würde überhaupt keinen richtigen »Ich-Kern« im Menschen geben, es sei nur etwas, das sich situationsbedingt konstituiere und deshalb auch ständig neu »erfunden« werden könne. Jeder Mensch könne darum theoretisch jede Rolle einnehmen.

Inzwischen sind die Wissenschaftler schlauer. Sie verorten den Persönlichkeitskern in den Tiefenschichten unseres Gehirns – da, wo das »unbewusste Selbst« steckt: die »impliziten Wünsche«.

Und welche sind das? Was sind unsere Haupttriebfedern? Essen, Sex, Bindung, Macht, Leistung – sagen die Forscher. Unterschiedlich ausgeprägt bei uns allen. Wer etwa einen großen impliziten Wunsch nach Macht hat, aber ein »machtloses«, fremdbestimmtes Leben führt, der ist nicht mit sich im Reinen. Wer einen starken, impliziten Bindungswunsch hat, aber gezwungen ist, im täglichen Leben kalt und unnahbar zu agieren – ebenso.

Wie erkennen wir uns?

Der Impuls, der aus dem impliziten Selbst stammt, ist immer unsere erste Reaktion auf ein Erleben – alles, was danach kommt, ist rationaler Überbau. Es ist unser »Bauchgefühl«, das meist recht hat. Das kann ein Anhaltspunkt sein. Oft ist es aber nicht einfach, seinen impliziten Wünschen auf die Schliche zu kommen. Es ist mehr das Tun, das uns Aufschluss über uns gibt, kaum das Nachdenken über uns selbst.

Schwer von ihrem Selbst getrennte (dissoziierte) Menschen brauchen professionelle Hilfe – alleine werden sie nie klar sehen. Menschen mit tragischen menschlichen Erlebnissen, mit traumatischen Erfahrungen, erschütternden Beziehungskonflikten sind besonders in der Gefahr, den Draht zum Selbst zu verlieren. Denn um nicht ständig vom Erlebten belastet zu werden, kappt die Psyche den Draht zum inneren Selbst – was dann alles nur noch viel schlimmer macht.

»Die Bewährungsprobe der Selbstverwirklichung ist die Liebesbeziehung«, schreibt der Schweizer Psychotherapeut Jürg Will. Denn hier ist man auf Dauer nur erfolgreich, wenn man bei sich ist, authentisch ist. Wenn aber einer der Partner von seinem Selbst getrennt ist, gerät die Beziehung in die Krise und zerbricht (wenn der andere Partner mit sich im Reinen ist), oder sie wird zu einer Einbahnstraße, in der ein Neben-sich-Stehender einen anderen Neben-sich-Stehenden ausnützt und manipuliert. Ohne Frage gibt es viele Beziehungen, die so funktionieren.

Doch Glück, so die Forscher, entsteht nur dann, wenn die impliziten Wünsche befriedigt werden.

Literatur dazu:

  • Timothy D. Wilson: Gestatten, mein Name ist Ich. Das adaptive Unbewusste – eine psychologische Entdeckungsreise, Pendo-Verlag 2007
  • Gerd Gigerenzer und Hainer Kober: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, Goldmann 2008